Dienstag, 10. Januar 2012

Holzmasken


Seit drei Jahren schneidet der in Chur wohnhafte Maskenschnitzer Alberto Rainolter Gesichter unterschiedlichster Art aus dem Holz. Dabei fühlt er sich weder fasnächtlichen Stilvorgaben noch einem Kulturerbe verpflichtet.
Zu grobem Holz erstarrtes Mienenspiel hämisch feixender Fratzen. In ein verschrobenes Oval zerfliessender Züge wulstiger Faltenwürfe. Aufgedunsene Zungen, zwischen Zahnstümpfen in irrem Ausruf erschlaffter Rachenschlunde hervorquellend. Das sind die dämonischen Masken von Alberto Rainolter.
Aus feinen Konturen in glattes Holz geschnittene, distingiert glotzende Verwunderung. Aus ungeränderten Pupillen unverwand auf einen Punkt starrender Blick. Das Dreieck des Gesichts mit streng geschlossenen Lippen oder einem zum Sprechen geöffneten Mund abschliessend. Das sind auf Nase, Augen und Mund reduzierten, kubistischen Holzmasken
des gelernten Buchdruckers Alberto Rainolter.

Erinnerungen an das Spiel mit der Angst

Bereits als kleines Kind erlebte der in Domat/Ems aufgewachsene Alberto Rainolter das dortige Maskentreiben an der Hand seiner Mutter. Furcht erregend seien sie gewesen, die Maskenträger in ihren dick mit Stroh ausgestopften alten und verschlissenen Ueberkleidern erinnert er sich.  Ausstaffiert mit den dämonischen Fratzen des wohl bedeutensten Maskenschnitzers des Alpenraums, Albert Anton Willi, genannt Natè aus Domat/Ems, seien sie die Hauptstrasse des Dorfes rauf- und runtergerannt, um mit den umstehenden Zuschauern ihre derben Spässe zu treiben.
Rainolter entsinnt sich jener Faszination noch sehr genau, die das Emser Maskentreiben in seiner Kindheit auf ihn ausübte. Er erzählt von einem subtilen und reizvollen Spiel mit der Angst und der gleichzeitigen Gewissheit sich nie wirklich bedroht fühlen zu müssen. Als den Gefühlen beim Anschauen eines spannenden oder gruseligen Films beschreibt er die Faszination der Masken.
Während sieben Jahren ab 1998 hat der 1944 geborene Alberto Rainolter in seiner Churer Werkstatt an die 180 Masken geschnitzt. Alles was er darüber weiss hat er sich selber beigebracht aus Lust und Freude an der handwerklichen Betätigung.
Trotz seiner Erinnerungen an das Domat/Emser Maskentreiben fühlt sich Alberto Rainolter an keine fasnächtliche Tradition verhaftet. Seine Arbeit empfindet er als eine beständige Entwicklung. Diese möchte er nicht durch zu erfüllende Stilvorgaben oder überliefertes Kulturgut eingeschränkt wissen. Unter den von ihm geschnitzten Masken sind wohl die auch archaischen an der Fasnacht gebräuchlichen Dämonenfratzen zu finden. Im Moment entwickle sich sein Schaffen jedoch hin zu organischen, reduzierten, geometrischen Formen. Anregungen und Inspirationen zu seinen tragbaren Maskengesichtern findet Rainolter in realen Gesichtern und spontanen Einfällen unterschiedlichster Art. Bei seiner Suche beschränkt er sich weder auf einen bestimmten Kulturraum noch Epoche.

Ungewöhnliches Arbeiten

Alberto Rainolter verzichtet bei seiner Arbeit auf eine traditionelle Schnitztechnik. Nachdem er die Idee für eine Maske in einer Skizze oder Modell festgehalten hat, überträgt er sie mit dem Stechbeitel und dem Handballen als Schlägel auf den Rohling.
Ebenfalls ungewöhnlich ist seine Wahl des Holzes. Kein schnelles oder langweiliges Holz darf es sein. Rainolter sucht die Auseinandersetzung, die Beschäftigung mit dem Material. Er schneidet seine Masken aus den harten Stämmen von Birnen-, Apfel- und Kirschenbäumen. Auch Akazien-, Zwetschgen- und Eibenstämme hat er oft verarbeitet

Reto Peter Glemser - Die Südostschweiz,  17. Februar 2001